Schienenbonus

Veröffentlicht am 1. Juni 2024 um 14:02

In vielen Faktenchecks weise ich auf den sogenannten Schienenbonus hin. Auch der Zweckverband verweist hin und wieder auf die Existenz des Schienenbonus und den damit verbundenen Vorteil der Straßenbahn bei Fahrgastzahlen.

Beitrag von inside.stub vom 31.05.2024, Screenshot erstellt am 31.05.2024.

Daher möchte ich hier einen Auszug aus der aktuellen Forschungslage für den europäischen Raum vorstellen.

 

Warum die Einschränkung auf Europa?

Aus Studien aus Nordamerika, Südamerika und Australien ist bekannt, dass dort der Schienenbonus nicht so ausgeprägt ist bzw. nicht statistisch signifikant nachgewiesen werden kann. In Europa ist das anders, wie der nachfolgende Abschnitt zeigt.
Zudem fällt im internationalen Vergleich auf, dass insbesondere in Nordamerika und zum Teil Großbritannien künftige Nutzerzahlen überschätzt wurden. Dagegen waren Schätzungen aus Frankreich, wie in Deutschland, tendenziell zu pessimistisch.[Scherer2013, S. 19]

 

Zusammenfassung und Schluss

In der Wissenschaft, bezogen auf den europäischen Raum, ist man sich weitestgehend einig, dass ein Schienenbonus existiert. Dieser scheint jedoch regional unterschiedlich ausgeprägt zu sein und auch von den Vorerfahrungen der Nutzer abhängig zu sein. Zum Teil zeigen die Studien auch widersprüchliche Ergebnisse, wann der Schienenbonus bei welcher Befragten-Gruppe wie ausgeprägt ist.

Aus den Untersuchen, die den Schienenbonus quantifizieren, sowie weiteren Untersuchen, wird deutlich, dass die Fahrgaststeigerungen bei SPNV und sÖPNV-Projekten (schienengebundener ÖPNV) auch von anderen Effekten abhängen wie eine größere Sichtbarkeit, Anziehen von Investitionstätigkeit, begleitenden Stadt-gestaltenden Maßnahmen und Werbung. Ebenfalls möglich scheint, dass es durch den Schienenbonus zu einer positiven Rückkopplung in Bezug auf das Bedienungsangebot kommt:

Schienenbonus --> höhere Fahrgastzahlen --> besseres Bedienungsangebot (Takt) --> höhere Fahrgastzahlen.

Schienenbonus

Schuld und Meinhold versuchen in ihrem Artikel von 2003 den Schienenbonus anhand der Burgenlandbahn mittels einer Conjoint-Analyse zu ermitteln. Sie konnten für die gleiche Fahrt von Mücheln nach Merseburg einen akzeptierten Preisaufschlag von 1,75 Euro gegenüber dem MDV-Tarif von 3,10 Euro, der auch im parallelen Bus zu zahlen ist, ermitteln.[SchulzMeinhold2003, S. 26 - S. 29]

 

Utsunomiya und Shibayama ermittelten 2021 den Nutzer-spezifischen Mehrwert für zwei Nebenbahnen in Österreich: die Mariazeller-Bahn und die Pinzgauer Bahn. Sie konnten dabei Preisaufschläge von 9,3% bzw. 13,1% bei identischem Angebot von Bus- und Bahn ermitteln. Umgekehrt lagen die akzeptierten Abschläge bei der Umstellung von Bus auf Bahn bei ca. 25%. [UtsunomiyaShibayama2021, S. 42] Dabei konnten sie auch feststellen, dass der relative Nutzen einer Bahnverbindung mit der Einrichtung von P&R-Parkplätzen steigt. Die Nutzer kommen dann auch von außerhalb des eigentlichen Einzugsgebiets einer Station.[UtsunomiyaShibayama2021, S. 43]  Ebenso steigt der relative Nutzen an, wenn z.B. im Rahmen einer integrierten Stadtentwicklung im Bereich der Stationen Versorgungszentren mit Einzelhandel, Arztpraxen und Ähnlichem angesiedelt werden.[UtsunomiyaShibayama2021, S. 43]

 

Scherer untersuchte in ihrer Dissertation 2013 die Existenz eines Schienenbonus für Straßenbahnen in der Schweiz. Dabei konnte sie für die untersuchten Schweizer Städte, Bern und Zürich, feststellen, dass die Straßenbahn in einigen Eigenschaften positiver als der Bus wahrgenommen wird. Jedoch führt dieser Schienenbonus in den untersuchten Städten nicht zu einem höheren Modalsplit. Scherer führt dies darauf zurück, dass der ÖNPV in der Schweiz und besonders in Städten einen hohen Stellenwert und hohe Bedienungsstandards besitzen. Zudem fließen noch andere Faktoren in die Verkehrsmittelwahl ein, die im Falle der untersuchten Städte überwiegen könnten.[Scherer2013, S. 157 . S. 166] Aus der zusammengefassten Studienlage in der Arbeit wird wiederum deutlich, dass je nach Forschungsmethode und Art des Untersuchungsgebiets ein Schienenbonus messbar ist (retrospektive Analyse der Nutzerzahlen oder Regionalverkehr bei Wahl-Experimenten) oder nicht messbar ist (städtischer Raum u.A. bei Wahl-Experimenten).[Scherer2013, S. 21]

 

In einem Artikel 2012 stellen Scherer und Dziekan Untersuchungsergebnisse zum Schienenbonus aus psychologischer Sicht vor. Dabei konnte grundsätzlich eine Bevorzugung schienengebundener Verkehrsmittel festgestellt werden, die zum Teil sehr deutlich war.[SchererDziekan2012, S. 79 - S. 80][SchererDziekan2012, S. 84] Im Falle der Untersuchung in Deutschland ließen sich auch alters- und geschlechterspezifische Unterschiede feststelle. So bevorzugen junge Menschen sehr deutlich den SPNV, wogegen ältere Frauen den Bus bevorzugen.[SchererDziekan2012, S. 80] Ebenso konnte ermittelt werden, dass insbesondere Autofahrer den Zug stark gegenüber dem Bus vorziehen.[SchererDziekan2012, S. 80]
Psychologische Gründe für den Schienenbonus sind nach Scherer und Dziekan vor allem emotionale Faktoren sowie die Wahrnehmung als das zuverlässigere und umweltfreundlichere Verkehrsmittel. Dabei sind diese Faktoren jedoch regional stark unterschiedlich ausgeprägt.[SchererDziekan2012, S. 81][SchererDziekan2012, S. 85]

 

Gorrengourt untersucht im Rahmen seiner Masterarbeit die Wahrnehmung von öffentlichen Verkehrsmitteln durch Projektentwickler und Entscheidungsträger. In seiner Untersuchung stellt er fest, dass Straßenbahnen (Tram) auch bei politischen Entscheidungsträgern und Investoren ein besseres Image als Busverbindungen besitzen.[Gorrengourt2014, S. 40][Gorrengourt2014, S. 50] Insbesondere Projektentwickler assoziieren mit Straßenbahnen positivere Eigenschaften als mit Bussen.[Gorrengourt2014, S. 56] Auch politische Entscheidungsträger schreiben der Straßenbahn grundsätzlich positivere Eigenschaften zu, sehen jedoch Vorteile für den Bus bei Investitionskosten, Taktfrequenz und Wahrnehmung in der Bevölkerung.[Gorrengourt2014, S. 57] In seinem Fazit hält er fest, dass die Straßenbahn eine positivere Wahrnehmung hat als der Bus. Die in seiner Arbeit formulierte Hypothese, dass Straßenbahnen direkt eine Impulswirkung auf die Stadtentwicklung haben, kann er nicht bestätigen, da zu viele andere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielen. Zudem konnte er einen "Schienenbonus innerhalb des Schienenbonus" für den höherwertigen Verkehrsträger "S-Bahn" feststellen.[Gorrengourt2014, S. 116 bis S. 122]

 

Bunschoten et al untersuchten anhand einer Befragung in den Niederlanden die Existenz des Tram-Bonus, also Schienenbonus bezogen auf die Straßenbahn. Sie konnten einen statistisch signifikanten Schienenbonus nachweisen.[BunschotenEtAl_2013, S. 16 - S. 17] Auch hier zeigten sich regionale Unterschiede zwischen den untersuchten Städten. Anders als in anderen Studien bevorzugen in dieser Untersuchung Nicht-Nutzer des ÖPNV offenbar den Bus.[BunschotenEtAl_2013, S. 1 - S. 2]